Israel und Juda: Antike Kleinstaaten

Israel und Juda: Antike Kleinstaaten
Israel und Juda: Antike Kleinstaaten
 
Unter den Geschichten der alten Völker des Vorderen Orients spielt die Geschichte des antiken Israel eine ganz besondere Rolle. Sie ist die Einzige, die von der Frühzeit eines Volkes berichtet, das seit der Antike trotz furchtbarer Katastrophen nicht untergegangen ist, sondern bis in die Gegenwart fortexistiert: von der der Juden. Und sie ist die Einzige, auf die sich bis heute zwei Weltreligionen ständig zurückbeziehen, das Judentum und das Christentum, weil sie in ihr das helfende Handeln und Orientierung stiftende Reden Gottes für ihre eigene Gegenwart und Zukunft zu vernehmen glauben. Bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein hielt man diese Geschichte weithin für die älteste der Menschheit überhaupt; schien doch die Bibel in Vorzeiten bis zur Erschaffung der Welt zurückzureichen, die lange vor den damals aus den griechischen und römischen Klassikern bekannten Ereignissen anzusiedeln sind. Doch seitdem im 18. und 19. Jahrhundert die Hieroglyphen und die Keilschrift entziffert wurden, wissen wir, dass es im Vorderen Orient sehr viel ältere Völker als Israel gab. Die Sumerer und Ägypter, die Babylonier, Syrer und Hethiter hatten schon eine lange Geschichte hinter sich, als Israel erst gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. die Bühne der Weltgeschichte betrat. Literaturgeschichtliche Untersuchungen haben darüber hinaus ergeben, dass der Geschichtsbericht der Hebräischen Bibel (1. Mos. bis 2. Kön.), ungeachtet der Aufnahme älterer Quellen, erst im 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr. verfasst wurde; das heißt, es liegen teilweise Jahrhunderte zwischen den biblischen Texten und den berichteten Ereignissen. Da es sich zudem um eine paradigmatische Geschichtsschreibung handelt, die nicht nur berichten, sondern vor allem theologisch belehren will, kann die historische Rekonstruktion nicht einfach der biblischen Darstellung folgen, sondern muss sehr kritisch deren Quellenwert überprüfen. Sie ist dabei — vor allem für die frühe Zeit — stark auf außerbiblische Quellen und archäologische Zeugnisse angewiesen.
 
 Die Entstehung Israels
 
Israel verdankt seine Geschichte einer längeren Schwächeperiode der es umgebenden Großmächte zwischen 1200 und 750 v. Chr. Der schmale Kulturlandstreifen Palästina —Phönikien —Syrien bildet die Landbrücke zwischen Afrika und Asien und war schon im Altertum von großer geopolitischer Bedeutung; wer sie kontrollierte, besaß die Kontrolle über die Heeres- und Handelswege zwischen den beiden großen vorderorientalischen Flusskulturen am Nil und in Mesopotamien und zugleich das Tor zur östlichen Mittelmeerwelt. Der Raum war daher naturgemäß zwischen den altorientalischen Reichen stark umstritten. Im 2. Jahrtausend v. Chr. stand Palästina unter ägyptischer Herrschaft. Es bildete die Provinz Kanaan, die aus einer Fülle kleiner Stadtkönigtümer bestand; diese, meist in der strategisch wichtigen und landwirtschaftlich günstigen Küsten- und Jesreelebene gelegen, buhlten mit- und gegeneinander um die Gunst des ägyptischen Oberherrn, was die Amarnabriefe, eine mittelägyptische Quelle aus dem 14. Jahrhundert, belegen. Doch gegen Ende des 13. Jahrhunderts kam es — aus immer noch nicht vollständig geklärten Gründen — zu einem Kollaps der politischen Systeme im östlichen Mittelmeerraum. Die mykenische Welt ging unter, das Hethiterreich brach zusammen, die ägyptische Macht wurde nachhaltig geschwächt, Völkerschaften aus der Ägäis (»Seevölker«) drangen nach Syrien-Palästina ein, unter ihnen auch die Philister, die in der südlichen Küstenebene Fuß fassten und viel später — unter römischer Herrschaft — den Namen Palästina für das Land abgeben sollten. Die hoch entwickelte kanaanäische Stadtkultur der späten Bronzezeit mit ihren weit reichenden Handelsbeziehungen fand dabei ebenfalls ihr Ende; viele der kanaanäischen Städte wurden um 1200 zerstört oder verlassen (Hazor, Megiddo, Beth Schean, Bet-El, Geser, Aschdod).
 
In diesen politischen und kulturellen Niedergang, der den Übergang von der späten Bronze- zur Eisenzeit markiert, gehört die Entstehung Israels hinein. Archäologisch lässt sie sich als Deurbanisation greifen; das heißt, es entstand ab etwa 1200 in den ökologischen und politischen Nischen, in die die Macht der geschwächten kanaanäischen Stadtstaaten nicht mehr reichte, auf dem mittel-, nord- und südpalästinischen Gebirge und im nördlichen Negev eine Vielzahl neuer kleiner dörflicher Siedlungen; etwa 315 sind durch Oberflächenuntersuchungen oder Ausgrabungen nachgewiesen. Wie dieser Befund historisch zu deuten ist, wird in der Forschung noch kontrovers diskutiert: Einiges spricht für das Sesshaftwerden von Nomaden (ovaler Häuserring, Pfostenlöcher, Silos), anderes für die Neuansiedlung von Bauern. Wichtig für die Einschätzung der Herkunft der eisenzeitlichen Siedler ist, dass sie wohl vor allem auf dem Sektor der Architektur einige Neuerungen einführten (»Vierraumhaus«), aber in der materiellen Kultur auf niedrigerem Niveau Traditionen der Spätbronzezeit fortführten. Dies bedeutet, dass sie in ihrer Mehrzahl nicht von weither — etwa aus der Wüste, wie man früher dachte — eingewandert waren, sondern schon längere Zeit in Kontakt mit der kanaanäischen Stadtkultur gelebt haben müssen. Dafür spricht auch die früheste außerbiblische Erwähnung Israels in der Siegesstele des Pharaos Merenptah, die schon für das Jahr 1219 v. Chr. eine Volksgruppe dieses Namens in Kanaan bezeugt. Das heißt, es waren wahrscheinlich nomadische Rand- und bäuerliche Unterschichtgruppen Palästinas, die mit dem Niedergang der ägyptischen Herrschaft und der kanaanäischen Stadtkultur sich von den städtischen Zentren absetzten und dazu übergingen, sich in den politisch kaum noch kontrollierten Berg- und Wüstenregionen eine eigene ökonomische Basis und eine selbstständige politische Organisation aufzubauen. Wenn sie diese »Isra-el« nannten, so klingt dies bei einer solchen Sicht wie ein politisches Programm: Nicht die städtische Aristokratie, sondern der (aramäische) Gott »El soll herrschen!«
 
Diese Sicht schließt nicht aus, dass auch Gruppen von außen zuwanderten: so wahrscheinlich semitische Fronarbeiter, die unter Ramses II. (1290—1212) zu Bauarbeiten im Nildelta bei den Städten Pitom und Ramses gepresst worden und unter der Führung Moses und der Verheißung des Gottes Jahwe, den dieser bei den Midianitern in Nordarabien kennengelernt hatte, nach Palästina geflohen waren. Diese Gruppe verband sich nun mit den sich emanzipierenden Nomaden und Bauern Palästinas und stärkte mit ihrem Gott Jahwe deren Befreiungsbestrebungen. Wenn es in der Hebräischen Bibel so dargestellt wird (2. Mos. 1—15), als sei ganz Israel in Ägypten gewesen und nach Palästina eingewandert, dann wurde die spezielle Geschichte der Mosegruppe generalisiert. Dabei wissen andere Texte durchaus noch, dass die Vorväter Israels schon im Lande waren (1. Mos. 12—50). Sicher nicht historisch ist die Sicht des Buches Josua (Josua 1—12), dass das ganze Land gewaltsam erobert wurde; dagegen spricht nicht nur die andere Sicht von Richter 1, sondern vor allem der archäologische Befund: Die Städte Jericho und Ai, die Josua erobert haben soll, lagen schon Jahrhunderte in Trümmern, bevor Israel entstand; hier handelt es sich um ätiologische Sagen, die diese Trümmerstätten nachträglich erklären sollten. Der Entstehungsprozess Israels war, wie die unbefestigten Dorfgründungen zeigen, in seiner ersten Phase friedlich. Erst als Israels Siedlungsgebiet sich auszuweiten begann, kam es mit den Kanaanäerstädten und den Philistern in Konflikt. Zutreffend aber hat die Überlieferung die Sicht bewahrt, dass Israel aus einem sozialen Befreiungsprozess entstanden ist. Dies prägte seiner Religion zwei Merkmale auf, die für sie typisch bleiben sollten: Als Gott der Befreiung ist Jahwe nicht primär an Städte, Länder oder Könige, sondern an eine Menschengruppe gebunden. Jahwe ist der Gott Israels, und Israel ist Volk Jahwes — so schon in einem der ältesten Texte der Bibel, dem Deboralied (Ri. 5). Und dieses Gottesverhältnis birgt einen herrschaftskritischen und einen sozialen Impuls in sich, die sich immer wieder Geltung verschaffen sollten.
 
 Die vorstaatliche Organisation
 
Die politische Organisation, welche die Bauern- und Hirtenbevölkerung im palästinischen Bergland aufbaute, war geradezu ein Gegenmodell zu der hierarchischen Struktur der kanaanäischen Stadtstaaten, von denen sich zu emanzipieren sie entschlossen war. Das vorstaatliche Israel zwischen etwa 1200 und 1000 v. Chr. organisierte sich als Stammesgesellschaft; das heißt, es regelte alle gesellschaftlichen Beziehungen nach einem gestaffelten System realer (Familie, Sippe) und fiktiver (Stamm) Verwandtschaftsverhältnisse. Typisch war dabei das Fehlen jeglicher politischer Zentralinstanz. Kaum beschränkte Macht hatte nur der Vater über seine Familie, die außerhäusliche Gewalt war dagegen ausgesprochen schwach entwickelt. Die einzigen dauerhaften politischen Institutionen, den Ältestenrat und die Versammlung der Waffen tragenden Männer, gab es in der Frühzeit nur auf der Ebene des Ortes, einer Region oder eines Stammes, nicht aber auf der Ebene des Gesamtverbandes Israel; sie waren noch dazu auf die freiwillige Zustimmung aller Beteiligten angewiesen. Die Orte oder Stämme, begünstigt auch von der zerklüfteten Struktur des Siedlungsraumes, handelten weitgehend unabhängig voneinander; ja wir hören sogar von Konflikten zwischen den Stämmen. Nur in schweren Krisen, in denen die einzelnen Stämme nicht mehr allein der Bedrohung Herr wurden, schlossen sich mehr oder weniger große Teile des Gesamtverbandes Israel zusammen.
 
Die größte militärische Gemeinschaftsaktion war die »Deboraschlacht«. Nach dem Zeugnis des Deboraliedes (Ri. 5) vereinten sich immerhin sechs von zehn Stämmen, um gegen eine Koalition kanaanäischer Könige in der Jesreelebene zu kämpfen. Der Text macht deutlich, dass die Konzeption von Israel als einem Zwölfstämmeverband (so z. B. in 1.Mos.49; 5.Mos.33) eine spätere Idealvorstellung ist, die nicht der Realität entsprach. Auffällig ist besonders, dass im 11. Jahrhundert Juda offenbar noch nicht zu dem Stammesverband gehörte. Der Tadel gegenüber den Stämmen, die sich an diesem Befreiungskrieg nicht beteiligten, belegt das Vorhandensein einer Solidaritätsverpflichtung zwischen den Stämmen. Typisch aber ist, dass diese Solidarität außerinstitutionell erreicht wurde, hier durch die Sängerin Debora, die durch ihr Charisma Barak als Heerführer aktivierte und sechs Stämme zur gemeinsamen Aktion zusammenschweißte, wofür sie den Ehrentitel »Mutter in Israel« erhielt. Hier wie auch sonst wurde der Solidarisierungsprozess auf ein wunderbares Eingreifen Jahwes, die Wirkung seines Geistes zurückgeführt. Auf diese Weise unterstützte er Israel bei seinen Befreiungskämpfen, die darum regelrecht »Jahwekriege« genannt wurden. Wenn aber die charismatischen Heerführer oder »Großen Richter« nach Abschluss der Kämpfe wieder »ins Glied zurücktraten« und z. B. Gideon nach Richter 8, 22f. gar die ihm angetragene Königswürde mit dem Hinweis auf Jahwes Herrschaft über Israel abgelehnt haben soll, dann wird deutlich, dass im vorstaatlichen Israel der Missbrauch der Solidarisierung zur Etablierung einer politischen Zentralgewalt erfolgreich verhindert wurde, und zwar ebenfalls mit religiöser Motivation: Jahwe schützte das Freiheitsstreben der Stämme auch nach innen. Das Fehlen einer »menschlichen Obrigkeit« war gewollt.
 
Ein weiteres Merkmal der israelitischen Gesellschaft dieser Zeit war ihre geringe soziale Differenzierung. Wohl gab es einzelne wohlhabende und damit angesehene Scheichs und »Burschen«, die sich als Freie in ein Dienstverhältnis begaben, aber die Mehrheit der Bevölkerung arbeitete in den sich weitgehend selbst versorgenden Familien auf ihrem Erbbesitz. Dieser galt, um die Akkumulation von Grund und Boden zu verhindern, grundsätzlich als unverkäuflich. Zusätzliche Solidaritätspflichten innerhalb der Sippe wie Loskauf (3. Mos. 25, 25ff.) und Leviratsehe (5. Mos. 25, 5—10) sollten verhindern, dass der Grundbesitz der Familie im Falle von Schuldknechtschaft oder frühzeitigem Tod verloren ging.
 
Während man in der älteren Forschung (Martin Noth) das vorstaatliche Israel in Anlehnung an griechische Vorbilder als »Amphiktyonie« definiert hat, das heißt, als sakralen, um ein Zentralheiligtum (z. B. Silo) siedelnden Stämmeverband, hat man es in neuerer Zeit wegen seiner egalitären Struktur im Vergleich zu entsprechenden afrikanischen Vorbildern als »segmentäre Gesellschaft« (Frank Crüsemann) bestimmt.
 
 Der Beginn der Staatsbildung unter Saul
 
Stellt man das Freiheitsstreben der Stämme gegen jegliche politische Hegemonieansprüche, seien sie nun von außen oder von innen, in Rechnung, so war der Übergang zur Staatlichkeit, der sich in Israel um ca. 1000 v. Chr. vollzog, keineswegs eine »natürliche« Entwicklung. Wohl gab es innere Gründe, die die Ausbildung stämmeübergreifender politischer Institutionen förderten: Archäologisch lässt sich nachweisen, dass ein Bevölkerungswachstum um etwa das Dreifache im Verlauf des 11. Jahrhunderts eine Ausdehnung des Siedlungsraumes in den Westabhang des Berglandes erzwang. Der erhebliche Arbeitsaufwand bei der Kultivierung der steilen Berghänge durch Terrassierung und die Anlage von Zisternen erforderte die Zusammenarbeit größerer Verbände; die in den Hanglagen oft nur mögliche Gartenkultur (Ölbäume, Wein) führte zu regionalen Spezialisierungen der landwirtschaftlichen Produktion und förderte den überregionalen Handel. So erstaunt es nicht, dass sich in der späten vorstaatlichen Zeit die beiden politischen Entscheidungsgremien, der Ältestenrat und die Volksversammlung, auch auf die Ebene des Stämmeverbandes ausdehnten, wobei das offenbar erst jetzt hinzukommende Juda neben Israel eine Sonderstellung behielt (das Alte Testament spricht von »Ältesten« und »Männern« Israels bzw. Judas).
 
Der eigentliche Auslöser zur Etablierung einer zentralen Herrschaft kam jedoch von außen: Je mehr Israel und Juda ihr Siedlungsgebiet nach Westen hin ausdehnten, umso stärker gerieten sie mit den Philistern in Konflikt. Diesem »Seevolk« mit seinen Berufskriegern war Israel mit seinem freiwilligen Heerbann militärisch auf Dauer nicht gewachsen. Schon um 1050 hatte es bei Aphek eine schwere Niederlage gegen die Philister erlitten (1. Sam. 4), bei der die »Bundeslade« verloren ging; in der Folge wurde auch deren Aufbewahrungsort, das Heiligtum von Silo, zerstört. Danach kam es zu einer lang anhaltenden Besetzung des mittelpalästinischen Berglandes durch die Philister, die so weit ging, dass diese die gesamte Metallherstellung und -verarbeitung der Israeliten kontrollierten. So fanden sich die Entscheidungsträger der Stämme unter dem Druck der Verhältnisse bereit, von ihrem Freiheitsideal Abstriche zu machen, und erhoben Saul, der seine charismatischen und militärischen Fähigkeiten in einem erfolgreichen Befreiungskampf gegen die ostjordanischen Ammoniter erwiesen hatte, zum König (1. Sam. 11).
 
Das Königtum Sauls war ein ernst zu nehmender Versuch, die Notwendigkeit einer zentralen militärischen Dauergewalt mit dem Streben der Stämme nach Freiheit und Unabhängigkeit aus der vorstaatlichen Zeit zu vereinen. Es war eher ein Häuptlingstum, bei dem die Stämme sich zwar Saul gegenüber zur ständigen Heerfolge verpflichteten, aber peinlich darauf achteten, dass seine Machtbasis möglichst auf seine familiären Ressourcen beschränkt blieb: eine bescheidene Residenz im heimatlichen Gibea, einen kleinen Führungsstab, in dem sein Vetter Abner wohl das einzige Amt (das des Heerführers) besetzte, und nur eine kleine »Berufstruppe«, wohl meist aus Angehörigen seines Stammes Benjamin. Zur Finanzierung billigte man ihm keine Steuern, sondern nur freiwillige Abgaben zu. Ohne Verwaltungsstab blieb Sauls »Königtum« noch unterhalb der staatlichen Ebene. Doch das Experiment eines Kompromisses zwischen Stammesgesellschaft und Königtum misslang. Nach Anfangserfolgen fiel Saul in der Entscheidungsschlacht gegen die Philister auf dem Gebirge Gilboa (1. Sam. 31); die Macht, die er in Israel vereinen konnte, erwies sich als zu schwach. Ob Saul wirklich nur zwei Jahre regiert hat, wie der beschädigte Text (1. Sam. 13, 1) sagt, ist angesichts des gewaltigen Aufstiegs, den David unter seiner Regierung erlebte, fraglich; jedenfalls blieb seine Herrschaft ein Intermezzo.
 
 Die Großreichsbildung Davids
 
Um Israel gegen seine eigenen politischen Ideale in die Staatlichkeit zu führen, bedurfte es des Machtwillens und der genialen Gestaltungskraft Davids. Die Faszination, die von ihm ausging, hat schon früh zwei Erzählungen über ihn entstehen lassen, die »Aufstiegserzählung« (1. Sam. 16 bis 2. Sam. 5) und die »Thronfolgeerzählung« (2. Sam. 9 bis 1. Kön. 2), sodass wir erstmals in der Geschichte Israels gut informiert sind. David, aus dem judäischen Bethlehem stammend, hatte seine Karriere als Schildknappe Sauls begonnen, war also kein charismatischer Heerführer wie die »Großen Richter« mehr. Er gewann schnell militärischen Ruhm in Scharmützeln mit den Philistern und geriet darüber in Konflikt mit Saul. Vertrieben vom Hof, schuf er sich aus den Randexistenzen der israelitischen Gesellschaft eine schlagkräftige Truppe von 400 bis 600 Berufskriegern (1. Sam. 22), die nicht mehr den Stämmen, sondern allein ihm verpflichtet war (»Knechte Davids«). Diese bildete die entscheidende Machtbasis für seinen weiteren Aufstieg und entwickelte sich zum Kern des staatlichen Gewaltmonopols. Mithilfe seiner Truppe und zu deren Versorgung verschaffte sich David auf abenteuerliche Weise erheblichen Grundbesitz, beerbte etwa den reichen judäischen Bauern Nabal, nachdem er ihm — mit Mafiamethoden, wie man heute sagen würde — Schutzgelder abgepresst hatte (1. Sam. 25). Er scheute sich nicht, zu den Philistern überzulaufen, um als treuer Vasall vom Philisterkönig Achisch von Gath das Lehen Ziklag zu erhalten, das zum Grundstock des davidischen Krongutes werden sollte. Doch geschickt vermied er es, aufseiten der Philister gegen die eigenen Landsleute kämpfen zu müssen: Während Saul zur Entscheidungsschlacht gegen die Philister rüstete, veranstaltete David Raubzüge gegen israelfeindliche Stämme im Süden und verteilte von der Beute reiche Geschenke an die Ältesten Judas, um sie für sich zu gewinnen. Der Erfolg dieser konsequenten Hausmachtpolitik zeigte sich bald: Nachdem Saul gefallen war, besetzte David mit seiner Truppe im Handstreich das strategisch wichtige Hebron; die Ältesten Judas beugten sich der faktischen militärischen und wirtschaftlichen Macht Davids und salbten ihn zum König von Juda (2. Sam. 2, 1—4).
 
Von dieser erweiterten Machtbasis aus ging David sofort zielstrebig dazu über, sich nun auch die Stammesautoritäten Israels gefügig zu machen. In einem Verwirrspiel von Lockungen, Drohungen, Bruderkämpfen und Intrigen verhinderte er erfolgreich den Versuch einer dynastischen Fortsetzung des Königtums Sauls unter dessen Sohn Eschbaal; dessen Heerführer Abner wurde abgeworben, Eschbaal und Abner schließlich ermordet. Wohl wahrte David peinlich den Schein seiner Loyalität gegenüber den Sauliden, tötete den Boten, der ihm die Krone Sauls brachte, trauerte öffentlich um die Opfer und bestrafte so weit wie möglich die übereifrigen Täter, doch wurde er von den Anhängern Sauls wohl nicht ganz zu Unrecht der Mitschuld am Untergang des ersten Königshauses bezichtigt. Als dann die Ältesten Israels nach Hebron schickten, um mit ihm einen Königsvertrag abzuschließen (2. Sam. 5, 1—5), da meinten sie wohl, noch ein Wahlkönigtum, das ihnen Mitspracherechte einräumte, retten zu können; faktisch fügten sie sich jedoch dadurch den von David etablierten Machtverhältnissen.
 
David vereinte nun die beiden Königtümer über Israel und Juda in Personalunion. Es gehört zu seinen geschicktesten Schachzügen, dass er mit seiner »Berufstruppe« die noch bestehende Kanaanäerstadt Jerusalem an der Grenze zwischen den beiden separaten Stammesgebieten eroberte (2. Sam. 5, 6—9) und sich damit eine von den Stämmen unabhängige Residenz schuf. Damit war eine Zentrale für den jungen Staat geschaffen, über die der König persönlich verfügte (»Davidstadt«). Es ist faszinierend zu sehen, wie es David in kurzer Zeit gelang, zuerst mit seiner schlagkräftigen Berufstruppe, dann im Verein mit einem reorganisierten Heerbann nicht nur die philistäische Besatzungsmacht aus dem Lande zu treiben, sondern auch die umliegenden Kleinstaaten Moab, Ammon, Aram-Zoba, Aram-Damaskus und die Edomiter zu unterwerfen; selbst Hamath in Mittelsyrien wurde ihm tributpflichtig (2. Sam. 8; 10f.; 12, 26ff.). Nach der Eroberung der noch bestehenden kanaanäischen Stadtstaaten schuf er aus den zerstreuten Stammesgebieten einen zusammenhängenden Territorialstaat mit einem Kranz von Vasallenstaaten, dessen Machtbereich von Ägypten bis an den Euphrat reichte. Es handelt sich um die erste Großreichsbildung, die von der umkämpften Landbrücke Palästina ausging, und es sollte auch die letzte bleiben. Es ist deswegen kein Zufall, dass sich die Idealvorstellungen Israels von seinem Land immer wieder an diesem davidischen Großreich orientierten (1. Mos. 15, 18 und öfter).
 
Es gehört zu den auffälligen Besonderheiten der Geschichte Israels, dass es trotz dieser glänzenden außenpolitischen Erfolge des jungen Königtums dennoch zu mehreren Aufstandsbewegungen gegen David kam. Die Unzufriedenheit mit seinem autokratischen Regiment war so groß, dass sich die entmachteten Entscheidungsträger der Stämme zu einer Israel wie Juda umfassenden Koalition zusammenschlossen, um mit Davids Sohn Absalom eine Art »konstitutionelle Monarchie« zu errichten, die ihnen mehr Mitspracherechte einräumte und damit den vorstaatlichen Idealen Israels mehr entsprach (2. Sam. 15—19). Die Lage war für David so gefährlich, dass er aus Jerusalem mit einigen Getreuen fliehen musste, um im Ostjordanland seine Berufstruppe neu aufzubauen; selbst die Sauliden witterten wieder Morgenluft. Doch scheiterte das erstaunliche politische Experiment. Die Söldner Davids besiegten den Heerbann der Stämme, Absalom wurde getötet, und es gelang David, einen Keil zwischen die Aufständischen zu treiben, indem er den Judäern Privilegien zusprach.
 
Doch kaum hatte David seine Herrschaft in Jerusalem wiederhergestellt, als unter den benachteiligten mittel- und nordisraelitischen Stämmen der noch radikalere Scheba-Aufstand losbrach. Scheba aus dem Stamm Benjamin rief sie auf, David die Gefolgschaftspflicht aufzukündigen (2. Sam. 20, 1) und damit wieder zu vorstaatlichen Verhältnissen zurückzukehren. Doch zu einer solchen radikalen Ablehnung des Königtums war es schon zu spät. Von Davids Berufstruppe bedroht, wagte es nur eine Stadt, Scheba Unterschlupf zu gewähren, und opferte ihn schließlich, um Davids Strafaktion zu entgehen.
 
Frank Crüsemann hat zeigen können, dass die für den antiken Orient einzigartigen königskritischen Texte der Hebräischen Bibel (Ri. 9, 7 bis 15; 1. Sam. 8, 7 und 11—18; 12, 12; vergleiche Hosea 13, 9—11) in den Aufstandsbewegungen der frühen Königszeit ihren Ursprung haben. Sie belegen, dass die herrschaftskritischen politischen und religiösen Traditionen der Frühzeit mit dem Übergang zur Staatlichkeit nicht vergessen wurden. Anders als in Ägypten, Sumer oder Babylon wurde dem Königtum in Israel sein sakral überhöhter Absolutheits- und Totalitätsanspruch bestritten.
 
 Die Herrschaft Salomos
 
Salomo, der seinem Vater David nach etwa 40-jähriger Herrschaft durch eine Hofintrige auf den Thron folgte, schuf ein dynastisches sakrales Königtum nach ägyptischem Vorbild. Obwohl unter seiner Herrschaft das Großreich schon wieder zu bröckeln begann — Aram-Damaskus machte sich selbstständig und Edom probte den Aufstand —, führte Salomo es zu seinem größten Glanz. Nach außen band er durch Heiraten sein Reich in die diplomatischen Beziehungen zu den Nachbarn ein und knüpfte weitläufige Handelsbeziehungen nach Tyros, Kleinasien, Ägypten, Südarabien und Afrika. Seine Hauptaktivität lag aber im Bereich der Innenpolitik. Die staatliche Administration, die schon David begonnen hatte, wurde von Salomo erweitert (1. Kön. 4, 1—6) und straff durchorganisiert: Sein oberster Verwaltungsstab umfasste den Priester des Jerusalemer Tempels, einen »Schreiber« als Spitze der zivilen Verwaltung, einen Kanzleichef, einen Heerführer, einen Gouverneur an der Spitze der Verwalter der Steuerbezirke, einen »Freund des Königs« als persönlichen Berater, einen Haushofmeister zur Verwaltung der Krongüter und den Chef der staatlichen Fronarbeit.
 
Zur Finanzierung der luxuriösen Hofhaltung, der anschwellenden Verwaltung, der Truppen und Baukolonnen teilte Salomo Israel in zwölf Steuerbezirke ein (1. Kön. 4, 7—19). Ob für den Landesteil Juda das Gleiche vorauszusetzen ist oder ob er steuerlich bevorzugt war, entzieht sich unserer Kenntnis. Wahrscheinlich musste als Steuer der Zehnte der ackerbäuerlichen Produktion abgeführt werden, zu dessen Einsammlung und Lagerung eigens Vorratsstädte mit — auch archäologisch nachweisbaren — Speicherhäusern erbaut wurden. Die großen Reichtümer, die durch Steuern, Zölle und Tribute im Reich eingingen, nutzte Salomo zu einer extensiven staatlichen Bautätigkeit. Er überzog das Land mit einem Netz von Festungsstädten, häufig auf den Ruinen alter Kanaanäerstädte, die an strategisch günstiger Stelle lagen, wie Hazor, Megiddo, Beth-Horon und Geser (1. Kön. 9, 15—18). Sie dienten zugleich der Steuer- und Militärverwaltung, besonders zum Unterhalt der logistisch aufwendigen Streitwagentruppe, die sich Salomo zur Herrschaftssicherung zulegte. Damit brachte er das gesamte israelitische Staatsgebiet unter direkte Kontrolle der zentralen Herrschaft.
 
War die vorstaatliche Zeit durch Deurbanisation gekennzeichnet, so setzte mit der Königszeit eine Reurbanisation ein, die bis heute eindrucksvolle archäologische Zeugnisse hinterlassen hat. Hervorstechend war besonders der prächtige Ausbau der Hauptstadt Jerusalem. Dazu wurde die Davidstadt durch eine Aufschüttung mit dem Zionberg verbunden, um ein Plateau für Verwaltungs- und Palastbauten zu schaffen. Religionsgeschichtlich folgenreich war der glänzende Ausbau des übernommenen jebusitischen (vorisraelitischen) Heiligtums zum königlichen Staatstempel, der mit dem Palast eine bauliche Einheit bildete (1. Kön. 6f.). Nach der Vorstellung des sakralen Königtums war der König zugleich Priester und Versorger des Heiligtums. Salomo stellte das alte Stammesheiligtum, die Lade, die nach Rückgabe durch die Philister schon David nach Jerusalem überführt hatte, im Allerheiligsten des Tempels auf (1. Kön. 8) und knüpfte damit an die vorstaatliche Jahwereligion an: Jerusalem sollte nicht nur der politische, sondern auch der kultische Mittelpunkt des Reiches sein. Doch die Symbolik des riesigen Cherubenthrones, der sich im Allerheiligsten über die kleine Lade wölbte, verkündete zugleich eine neue Staatstheologie, die sich aus den kanaanäischen Traditionen der Stadt speiste: Jahwe, einst Befreier aus Ägypten, thronte nun selber als himmlischer König über seiner Stadt und regierte von hier aus mithilfe seines Sohnes, des davidischen Königs, die Völkerwelt (Ps. 2, 45—48; vergleiche Jes. 6).
 
Mit diesem tief greifenden theologischen Umbruch war ein geistesgeschichtlicher verbunden. Gerhard von Rad hat von einer regelrechten »davidisch-salomonischen Aufklärung« gesprochen. Diese Bezeichnung ist sicher problematisch, richtig ist aber, dass unter Salomo — auch bedingt durch den Fernhandel und den internationalen diplomatischen Verkehr — Kunst und Literatur in Israel aufblühten. Der Tempel erstrahlte im Glanz phönikischer Architektur, aus Ägypten und Arabien hielt die Weisheitsliteratur am Hof Einzug. Die ersten großen Literaturwerke entstanden, wie die »jahwistische Urgeschichte« (1. Mos. 2—11) oder die »Thronfolgegeschichte« (2. Sam. 9 bis 1. Kön. 2), die an Tiefsinn und Schönheit den großen Literaturen des Vorderen Orients in nichts nachstehen. Wegen dieser kulturellen Blüte am Hofe Salomos wurde im Rückblick der König selber zum exemplarischen Weisen gemacht (1. Kön. 3; 5, 9f.; 10, 1—10). Die Regierung Salomos deckte erst voll auf, welchen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umbruch das Königtum für Israel bedeutete. In weniger als drei Generationen schaffte Israel den Sprung von einer isolierten Randgruppengesellschaft zu einem geachteten vorderorientalischen Großreich. Die Fortschritte, die das Land auf allen Gebieten der gesellschaftlichen Entwicklung in dieser Zeit machte, waren gewaltig und werden sicher auch von vielen in Israel begrüßt worden sein, vor allem von denen, die davon profitierten, wie die neu entstehende Schicht der Beamten, Kaufleute und Militärs.
 
Doch hatte der Fortschritt auch einen erheblichen Preis: Die Freiheits- und Mitspracherechte der Bevölkerung wurden stark eingeschränkt, die Ausbildung einer königlichen Klientel von Großgrundbesitzern höhlte je länger je mehr die egalitäre Gesellschaftsstruktur aus. Der religiöse Grundkonsens zerbrach, die Jahwereligion, die einst eine herrschaftskritische Befreiungstheologie gewesen war, wurde nun von den Hoftheologen teilweise zu einer herrschaftslegitimierenden Theologie umgeformt. Vor allem aber wurde nun die kleinbäuerliche Bevölkerung mit drückenden Steuern und Diensten für den Staat belastet. Die großen Bauleistungen Salomos waren nur dadurch möglich, dass auch von freien Israeliten staatliche Fronarbeit abgefordert wurde (1. Kön. 5, 27ff.). Dies muss in einer Gesellschaft, deren religiöses Selbstverständnis sich gerade der Befreiung aus der ägyptischen Fron verdankte, als ganz besonders demütigend empfunden worden sein. So ist es kein Zufall, dass gerade dies der Grund war für den Konflikt, der das davidisch-salomonische Großreich zerbrechen ließ. Schon zu Lebzeiten musste sich Salomo des Mordanschlages eines gewissen Jerobeam erwehren, der das Kontingent der Fronarbeiter aus dem Stamm Ephraim leitete. Zwar misslang der Anschlag, doch brach sofort nach Salomos Tod (926 v. Chr.) der Konflikt erneut auf.
 
 Der Abfall des Nordens und die Geschichte des Nordreiches bis zum Eingreifen der Assyrer
 
Es spricht für die Unzufriedenheit, die sich unter der Herrschaft Salomos angestaut hatte, dass die Nordstämme von Salomos Sohn Rehabeam eine Neuaushandlung des Königsvertrages verlangten und ihn dazu in das traditionsreiche Sichem zitierten (1. Kön. 12, 1—19). Die Verhandlungen drehten sich vor allem um eine Erleichterung der Fronbelastung. Als Rehabeam unnachgiebig Härte zeigte, brach ein Aufstand los, in dessen Gefolge der verhasste Chef der Fronarbeit Salomos, Adoniram, gelyncht wurde; Rehabeam entkam nur mit knapper Mühe nach Jerusalem. Die Nordstämme kündigten ihre Loyalität gegenüber dem davidischen Königshaus auf und wählten Jerobeam, den bewährten Aufständischen gegen die salomonische Fron, zu ihrem eigenen König. Nach etwa 80 Jahren war das von David errichtete gesamtisraelitische Reich in zwei Staaten zerfallen: das größere und wirtschaftlich potentere Nordreich Israel und das kleinere Südreich Juda. Die »Reichsteilung« 926 v. Chr. war also im Kern ein sozialer Aufstand gegen das autoritäre davidisch-salomonische Königtum, auch wenn ältere Rivalitäten zwischen den beiden Stammesverbänden Israel und Juda mitschwangen. Der Aufstand wurde vom Norden unter Berufung auf die religiöse Befreiungstradition der Frühzeit geführt, denn Jerobeam stiftete zum Dank für sein Gelingen in Bet-El und Dan zwei goldene Stierbilder ausdrücklich für Jahwe, der Israel aus Ägypten heraufgeführt habe (1. Kön. 12, 28f.). Wahrscheinlich ist auch die älteste literarische Ausformung der Exoduserzählung in diesem Befreiungskampf des Nordens entstanden. Erst eine sehr viel spätere Südreichpolemik hat das »Goldene Kalb« von Bet-El als Ausdruck des Bilder- und Götzendienstes gewertet, als »die Sünde Jerobeams«, derentwegen das Nordreich untergehen musste (1. Kön. 12, 30; 2. Kön. 17, 21ff.; vergleiche 2. Mos. 32). Es hat den Anschein, dass Jerobeam I. (926—906) durchaus den Versuch unternahm, ein weniger autokratisches Königtum zu verwirklichen. Er verzichtete auf eine feste Residenz und deren Verbindung mit einem kultischen Zentrum; die Reichsheiligtümer Bet-El und Dan lagen an der Peripherie. Verstärkt durch militärischen Druck von außen, der von dem Feldzug des Pharaos Scheschonk 922 und von dauernden Scharmützeln mit Juda und den mit ihm verbündeten Aramäern ausging, geriet das Nordreich jedoch in eine so bedrohliche politische Destabilisierung, dass sich rivalisierende Heerkönige bekriegten. So war Israel schließlich wieder bereit, den Ausbau einer starken monarchischen Zentralinstanz hinzunehmen.
 
Es war der Usurpator Omri (878—871), der diesen politischen Kurswechsel einleitete: Er baute Samaria auf eigenem Grund und Boden als königliche Residenz und Hauptstadt des Reiches. Er führte Israel zielstrebig aus der politischen Isolation, indem er sich mit den Davididen aussöhnte, seine Tochter Athalja mit König Joram von Juda vermählte und ein Bündnissystem zu den phönikischen und aramäischen Staaten ausbaute. Deutlichster Ausdruck dieser Politik war die Verheiratung seines Sohnes Ahab mit Isebel, einer phönikischen Prinzessin.
 
Ahab (873—853) setzte diese Ausgleichspolitik mit den Nachbarn fort und führte so das Nordreich zu einer neuen Blüte. 2000 Streitwagen konnte er der Koalition der syrischen Streitmacht beisteuern, die 853 in der Schlacht von Karkar in Mittelsyrien die Assyrer besiegte. Die Ruinen seiner Palast- und Festungsbauten in Samaria, Hazor und Megiddo zeugen noch heute von der wirtschaftlichen und kulturellen Potenz, die Israel durch die internationale Einbettung erworben hatte. Allerdings hatte die Bündnispolitik Ahabs fatale innenpolitische Konsequenzen. Ahab hatte für seine phönikische Frau einen Baaltempel in Samaria erbauen lassen (1. Kön. 16, 31ff.) und strebte wohl im Sinne der kulturellen Einbindung seines Reiches ein offizielles Nebeneinander von Jahwe und dem phönikischen Staatsgott Baal an. Dies aber rief neben sozialen Übergriffen des Königs (1. Kön. 21) den Widerstand der konservativen prophetischen Gruppen hervor. Die Überlieferung weiß von einer scharfen Auseinandersetzung zu berichten, die der Prophet Elia mit Ahab führte (1. Kön. 17—19): Anstelle des Nebeneinanders von Jahwe und Baal forderte Elia erstmals die schroffe Ausschließlichkeit der Jahweverehrung.
 
Staatspolitisch gefährlich wurde der Konflikt erst unter Ahabs Sohn Joram (851—845), als die erfolgreiche omridische Außenpolitik erstmals Schwächen zeigte: Die Provinz Moab, die aus davidischem Erbe an das Nordreich gefallen war, ging um 850 verloren (Mescha-Stele), der Usurpator Hasael von Damaskus begann, Israel in Kämpfe um das Ostjordanland zu verwickeln. Unter diesen Bedingungen gewann die prophetische Protestbewegung politische Breitenwirkung: Ein Schüler des Propheten Elisa salbte den Offizier Jehu zum Gegenkönig, und dieser ging mit unglaublicher Brutalität gegen die Omriden und ihre Religionspolitik vor: Joram und Isebel und das gesamte Königshaus wurden ermordet, der Baaltempel von Samaria verwüstet und alle Baalpriester und -verehrer umgebracht (2. Kön. 9—10). Diese Jehurevolution (845) macht drastisch deutlich, zu welchen fanatischen Konsequenzen die Alleinverehrung eines einzigen Gottes in einer polytheistischen Welt unter den Bedingungen der Staatlichkeit führen konnte. Die schroffe Religionspolitik Jehus (845—818) hatte nun wiederum schlimme außenpolitische Folgen. Israel geriet erneut in die Isolation und war so in den nächsten 50 Jahren den dauernden Angriffen der Aramäer ausgeliefert. Selbst die Hauptstadt Samaria wurde vom Aramäerkönig Ben-Hadad belagert und fast ausgehungert. Erst gegen Ende des 9. Jahrhunderts, als die Assyrer die Aramäer entscheidend geschwächt hatten, aber selber noch durch den Druck des ostanatolischen Reiches von Urartu zu sehr in ihren Kräften gebunden waren, um weiter nach Westen vorzustoßen, stabilisierte das Nordreich sich wieder. Unter der langen Regierung des letzten Herrschers der Jehudynastie, Jerobeams II. (787—747), der das an die Aramäer verloren gegangene Ostjordanland wieder zurückerobern konnte, erlebte Israel seine letzte Blüte.
 
Der wirtschaftliche Aufschwung unter Jerobeam II. ließ erstmals im 8. Jahrhundert eine soziale Krise aufflammen, die, ausgelöst durch den gesellschaftlichen Umbruch infolge der Staatenbildung, lange im Untergrund geschwelt hatte: Die breite Verarmung der traditionellen Kleinbauernschicht wurde von der angewachsenen Schicht der Großgrundbesitzer nicht nur teilnahmslos hingenommen, sondern auch aktiv zum eigenen Vorteil ausgenutzt. Der Prophet Amos, der um 760 auftrat, klagte die Reichen seiner Zeit an, die verschuldeten Kleinbauern schonungslos mit dem Mittel des harten antiken Kreditrechts, das neben hoher Pfandhaftung auch Personalhaftung vorsah, in die Schuldknechtschaft zu treiben, ihre Beschwerden vor Gericht durch Einschüchterung und Bestechung abzuwürgen (Amos 2, 6f.; 5, 10—12), selbst rauschende Feste zu feiern und sich nicht um das Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu kümmern. Und er kündigte einer solchen entsolidarisierten Gesellschaft, in der »Recht und Gerechtigkeit«, die Grundwerte der vorstaatlichen Zeit, nicht mehr galten, das Ende an (Amos 8, 2). Wohl sprach Amos noch nicht von den Assyrern, aber doch schon hellsichtig von Deportationen über Damaskus hinaus, wobei die Oberschicht an der Spitze der Verschleppten ziehen werde.
 
 Das Eingreifen der Assyrer und der Untergang des Nordreiches
 
Kaum eine Generation nach Amos sollten sich die politischen Machtverhältnisse im Raum Syrien-Palästina grundlegend ändern. 744 hatte Tiglatpileser III. den assyrischen Thron bestiegen. Er führte Assyrien tatkräftig zur Vormachtstellung im Vorderen Orient, die 100 Jahre währen sollte. Die assyrische Politik zielte darauf ab, die unterworfenen Völker möglichst effektiv zu beherrschen und auszuplündern. Dabei ging sie in drei Stufen vor: 1. Schaffung von Vasallen, die Tributleistungen zu zahlen hatten; 2. sollte der Vasall einen Aufstand wagen, Verkleinerung seines Staatsgebietes und Umwandlung der abgetrennten Gebiete in assyrische Provinzen; 3. bei nochmaligem Aufstand Liquidation des Reststaates und Umwandlung in eine assyrische Provinz. Um dann noch jeglichen Widerstand dauerhaft zu brechen und die Arbeitskraft der unterworfenen Völker zu nutzen, führten die Assyrer Massendeportationen durch, indem sie vor allem die Oberschicht der liquidierten Vasallenstaaten über die Provinzen ihres Riesenreiches verstreuten. Dafür wurden in den ehemaligen Vasallenstaaten Deportierte aus anderen Regionen angesiedelt, die, da sie ihre Existenz in der Fremde allein dem assyrischen König verdankten, diesem gegenüber ganz besonders loyal sein mussten. — Nach dem Sieg über Urartu ging Tiglatpileser 738 zur Unterwerfung der nordsyrischen Kleinstaaten über. Allein schon der Eindruck dieses Sieges veranlasste den israelitischen König Menachem, als Vasall schweren Tribut zu zahlen (1. Stufe der Abhängigkeit). Doch die proassyrische Option hielt nicht lange; schon 735 brachten antiassyrische Hofkreise Pekach als Usurpator an die Macht. Nachdem 734 Tiglatpileser in einem Blitzfeldzug bis an die Grenze Ägyptens marschiert war, um Aschkelon und Gaza zur Räson zu bringen, schmiedete Pekach zusammen mit Rezin von Damaskus ein antiassyrisches Bündnis, in das beide auch Juda hineinziehen wollten. Als dieses sich weigerte, gingen sie militärisch gegen Jerusalem vor. Doch dieser »syrisch-ephraimitische Krieg« 733 scheiterte. Schon 732 erschien Tiglatpileser wieder im Westen zur Strafaktion gegen die beiden abtrünnigen Vasallen: Damaskus wurde erobert und zerstört, vom Nordreich die Provinzen Megiddo und Gilead abgetrennt und ein Teil der Bevölkerung deportiert (2. Kön. 15, 29); nur ein Reststaat um Samaria herum blieb bestehen (2. Stufe der Abhängigkeit). Nun brachten die proassyrischen Kreise den König Hosea an die Macht, der sich eilfertig Tiglatpileser unterwarf. Doch nahm Hosea Tiglatpilesers Tod 727 zum Anlass, sich durch ein Bündnis mit Ägypten des assyrischen Jochs zu entledigen. Der Prophet Hosea brandmarkte diese ruinöse Außenpolitik des Nordreiches, mit der konkurrierende politische Eliten darum rangen, die Großmacht selbst um den Preis fortlaufender Königsmorde und des Bruchs »internationaler« Verträge für ihre Interessen einzuspannen, als selbstherrlichen Abfall von Jahwe. Für ihn zeigte sich darin, dass die monarchische Staatsform überhaupt nur eine Gabe des Zornes Gottes gewesen war, die Jahwe nun wieder vernichtete (Hosea 13, 9—11). Die Strafaktion der Assyrer ließ nicht lange auf sich warten: Salmanassar V. eroberte Samaria 722 nach dreijähriger Belagerung; wieder wurde ein Teil der Bevölkerung deportiert, Samaria dem assyrischen Provinzsystem eingegliedert und fremdländische Bevölkerung angesiedelt (2.Kön. 17, 6ff.; 3.Stufe der Abhängigkeit). Damit hatte das Nordreich aufgehört zu bestehen. Viele Flüchtlinge müssen damals nach Süden geströmt sein, denn nach archäologischem Befund wuchs im ausgehenden 8. Jahrhundert allein die Bevölkerung Jerusalems um das Dreifache.
 
 Die Geschichte des Südreiches bis zum Ende der Assyrerherrschaft
 
Die Geschichte des Staates Juda verlief bis zum Eingreifen der Assyrer sehr viel ruhiger als die des Nordreiches. Während das Nordreich in rund 200 Jahren zehn Dynastien verbrauchte, herrschte im Südreich bis auf eine kurze Unterbrechung fortwährend das davidische Königshaus. Und dieses konnte sich auf die treue Gefolgschaft der Jerusalemer Priester und des judäischen Landadels (»Volk des Landes«) stützen. Überdies war es seine abgelegene Lage auf dem judäischen Bergland, die das Südreich weit weniger in das Kräftefeld internationaler Konflikte verwickelte. Die Einzelheiten können hier darum übergangen werden. — Die Situation änderte sich erst mit der Expansion des Assyrischen Reiches. Als die »syrisch-ephraimitische Koalition« 733 gegen Jerusalem heranrückte, um Juda gewaltsam in ihr antiassyrisches Bündnis zu zwingen, und sogar damit drohte, Ahas gegen einen ihr willfährigen König auszutauschen, rief dieser trotz der Warnungen des Propheten Jesaja Tiglatpileser zu Hilfe und begab sich freiwillig in assyrische Vasallität (2. Kön. 16,5—8; 1. Stufe der Abhängigkeit). Jesaja hatte den König aufgefordert, im Vertrauen auf Gott abzuwarten, und das Scheitern der angreifenden Koalition angekündigt, statt in panischer Angst den Versuch zu unternehmen, die eigene Macht dadurch vermeintlich zu sichern, dass er den größeren Feind ins Land rief (Jes. 7, 1—9a; 8, 1—8a): Fehlender Glaube würde stattdessen den eigenen Untergang hervorrufen (Jes. 7, 9b und 10—17).
 
Immerhin blieb Ahas (734—728) treuer Vasall der Assyrer; er konnte Juda das Schicksal des Nordreiches ersparen. Doch setzte sich sein Sohn Hiskia (727—698) nach dem Tode Sargons II. 705 an die Spitze einer antiassyrischen Aufstandsbewegung, zu der er nicht nur die Philisterstädte Aschkelon und Ekron drängen, sondern auch Ägypten gewinnen konnte. Auch gegen diese Politik hat Jesaja angekämpft; das Vertrauen auf Waffen und Bündnispartner geißelte er als Abfall von Gott, der von diesem geahndet werde (Jes. 30,1—5; 31,1—3). Die Strafaktion der Assyrer folgte denn auch wenig später: 701 erschien Sanherib in Palästina, schlug das verbündete Heer der Ägypter bei Elteke in die Flucht, zerstörte 46 judäische Städte und riegelte Jerusalem total ab, sodass sich Hiskia unter Zahlung eines schweren Tributes unterwarf. Ein erheblicher Teil der judäischen Bevölkerung wurde schon damals deportiert. Jerusalem selbst war noch einmal davongekommen, worum sich später Legenden von der Uneinnehmbarkeit der Stadt rankten (2. Kön. 18, 33ff.). — Mit der riskanten Außenpolitik Hiskias war nach innen eine kultische und soziale Erneuerungspolitik verbunden, die »Hiskianische Reform«. Die Erschütterung über den Untergang des Bruderreiches im Norden setzte unter den Oberen und Priestern des Hofes ein Reformvorhaben in Gang, um durch Reinigung des Jahwekultes und Eindämmung der sozialen Missstände, die ähnlich wie im Norden auch in Juda aufgebrochen waren, Judas Identität und Zusammenhalt zu stärken. Die Urkunde dieser Bestrebungen ist wahrscheinlich das »Bundesbuch« (2. Mos. 20, 22 bis 23, 18), die älteste israelitische Gesetzessammlung. Die verschärfte Kontrolle über die Provinzheiligtümer findet archäologische Bestätigung in Arad und Beerscheba, wo Ende des 8. Jahrhunderts ein Jahweheiligtum stillgelegt bzw. ein Altar entsakralisiert wurde. Unter der langen Regierungszeit von Hiskias Nachfolger Menasse (696—642) blieb Juda treuer Vasall der Assyrer.
 
 Die Reform unter König Josia
 
Mit dem überraschenden Zusammenbruch des Assyrischen Reiches kurz nach seiner weitesten Ausdehnung Mitte des 7. Jahrhunderts entstand ein neues Machtvakuum in Palästina. So formierte sich in Juda ab 640 eine immer breiter werdende Koalition aus den judäischen Landadligen, prominenten Angehörigen der Jerusalemer Beamtenschaft um die Schreiberfamilie Schafan, Teilen der Jerusalemer Priesterschaft um den Oberpriester Hilkia und einzelnen Propheten wie der Prophetin Hulda (2. Kön. 22) und dem jungen Jeremia, um die Chance für einen Neubeginn, die das Zurückweichen der assyrischen Macht eröffnete, für eine Erneuerung von Kult, Staat und Gesellschaft zu nutzen. Dazu setzte die Reformkoalition 639 den erst achtjährigen Josia auf den Thron, den sie in ihrem Sinne erzog. Rechtswirksam wurde die Reform nach längeren Vorbereitungen 622, als ein Gesetzbuch, das unter dem Anspruch, Gesetz des Mose zu sein, verfasst worden war, von dem jungen König als neues Staatsrecht proklamiert und durch eine feierliche Selbstverpflichtung des ganzen Volkes in Kraft gesetzt wurde (2. Kön. 23, 1—3). Sehr wahrscheinlich ist dieses Gesetzbuch mit dem Grundbestand des deuteronomischen Gesetzes (5. Mos. 12—26) identisch, das teilweise die Reformgesetzgebung des Bundesbuchs fortschreibt.
 
Die »Josianische Reform« war zum Ersten eine umfassende Kultreform. Der Jerusalemer Tempelkult wurde von allen fremdländischen Einflüssen, in die er u. a. durch die assyrische Besatzung geraten war, gereinigt (2. Kön. 23, 4ff.). Um synkretistische Einflüsse ein für alle Male ausschließen zu können, wurden alle Provinzheiligtümer abgeschafft und der Jahwekult einzig auf den Tempel in Jerusalem beschränkt. Die Reformparole lautete: »Höre Israel, Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einer!« (5. Mos. 6, 4); sie sollte zum Grundbekenntnis des Judentums werden (Schema Jisrael): Das eine Volk sollte sich wieder in der ausschließlichen Verehrung seines einen Gottes an dem einzigen Heiligtum vereinen. Die Reformer versuchten damit, die bedrohte Identität ihres Volkes betont religiös durch die alleinige Jahweverehrung (Monolatrie) zu sichern. Zum Zweiten war diese Reform eine breite Sozialreform: Das Auseinanderdriften des Volkes in Klassen sollte durch eine Vielzahl von Schutzgesetzen für die verelendenden Kleinbauern eingedämmt werden, z. B. durch einen alle sieben Jahre wiederkehrenden öffentlichen Schuldenerlass, der als Gottesdienst proklamiert wurde (5. Mos. 15, 1—11). Zum Dritten war diese Reform eine »nationale« Reform: Josia versuchte, die nun frei werdenden Brüder auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreiches wieder mit Juda in einem davidischen Gesamtreich zu vereinen. Darum zerstörte er das Heiligtum von Bet-El, um sie zu zwingen, zur Jahweverehrung nach Jerusalem zu kommen. In diesem Einheitsstreben wurde er sowohl von dem jungen Jeremia (Jer. 3, 12f.; 31, 2—6) als auch von den Schülern Jesajas (Jes. 9, 1—6) propagandistisch unterstützt. — Doch wurden diese Reformbemühungen und Expansionsbestrebungen jäh gestoppt, als die Ägypter ihrerseits in das Machtvakuum, das die Assyrer hinterlassen hatten, hineinstießen. Pharao Necho II. zog 609 nach Norden, um die alten ägyptischen Rechte über Palästina wieder anzumelden. Hauptziel seines Heereszuges war die Stützung eines Restreiches der Assyrer in Nordsyrien, um damit den sich abzeichnenden Aufstieg der Neubabylonier sowie die Wiederherstellung eines israelitischen Großreiches »vor seiner Haustür« zu verhindern. Josia erkannte die Gefahr und stellte sich ihm in Megiddo in den Weg. Doch er wurde getötet, bevor die Schlacht richtig begonnen hatte. Der Sieg Nechos und sein Eingriff in die judäische Innenpolitik ließen die Reform zusammenbrechen. Dennoch ist ihre Bedeutung für die Geschichte Israels kaum zu überschätzen.
 
Die deuteronomischen Reformer haben erstmals in der Geschichte Israels unter Rückbesinnung auf die vorstaatlichen und Zurückschneidung der staatlichen religiösen Überlieferungen eine einheitliche israelitische Theologie geschaffen: Nach ihrer Sicht hatte Jahwe Israel durch die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft aus allen Völkern zu seinem Volk erwählt. Er hatte am Sinai einen Bund mit seinem Volk geschlossen, in dem er sich verpflichtete, Israel das Gelobte Land zu schenken, und in dem Israel sich verpflichtete, bei seinem Retter zu bleiben, indem es seine Gebote hielt. Israel konnte das Land wieder verlieren, wenn es Jahwes Gebote übertrat, aber es konnte seiner Treue gewiss sein, wenn es ihm treu blieb. Mit dieser theologischen Konzentration der verschiedenen religiösen Traditionen schufen aber die Deuteronomiker die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Israel seine Identität und damit seine Existenz auch ohne Staat, ja sogar ohne Tempel bewahren konnte. Seine Basis war von nun an ein Buch, eine Heilige Schrift, die man zur Not auch in die Fremde mitnehmen konnte.
 
 Das Eingreifen der Neubabylonier und der Untergang des Südreiches im Babylonischen Exil
 
Die Oberherrschaft Ägyptens über Palästina währte nicht lange. Schon im Jahr 605 siegte Nebukadnezar II. im nordsyrischen Karkemisch über die ägyptisch-assyrische Koalition und demonstrierte in einem Heereszug 604 bis nach Gaza, dass die Neubabylo- nier gewillt waren, das assyrische Erbe anzutreten. Wahrscheinlich wurde schon in diesem Jahr Josias Sohn Jojakim, der — von den Reformern in der Erbfolge bewusst übergangen — von Necho als sein Vasall eingesetzt worden war, Nebukadnezar tributpflichtig (1. Stufe der Abhängigkeit). Doch trotz der Warnungen Jeremias (Jer. 36) begann auch er, wie zuvor die Könige des Nordreichs, das riskante Spiel wechselnder Bündnispartner. Als das Neubabylonische Reich mit einem Angriff auf Ägypten 601 gescheitert war, fiel er von Nebukadnezar ab und setzte auf die ägyptische Karte. Aber auch diesmal ließ die Strafaktion nicht lange auf sich warten. Im Jahr 598 belagerte Nebukadnezar Jerusalem. Nachdem Jojakim offenbar noch während der Belagerung gestorben war, konnte sein Sohn Jojachin die Erstürmung der Stadt nur dadurch verhindern, dass er sich am 16. März 597 ergab. Jojachin und mit ihm ein erheblicher Teil der Oberschicht, der Kriegsleute und der kriegswichtigen Handwerker wurden nach Babylonien deportiert (2. Kön. 24, 12—16), unter ihnen auch der Prophet Ezechiel. Juda wurde erheblich verkleinert, die südlichen Teile des Landes den Edomitern überlassen (2. Stufe der Abhängigkeit). Nebukadnezar setzte einen weiteren Sohn Josias, Zidkija, als seinen Vasallenkönig in dem reduzierten Reststaat ein. Doch kaum, dass 594 das Neubabylonische Reich im Osten Schwächen zeigte, geriet Zidkija in die Fänge »nationalistischer« Gruppen, die mit Unterstützung Ägyptens ein antibabylonisches Bündnis mit den palästinischen Kleinstaaten schmieden wollten. Jeremia warnte erneut in der aufgeheizten Hochstimmung, in der man schon bald eine Rückkehr der Deportierten erwartete, vor einem Abfall (Jer. 27f.). Unter den Exilierten geißelte Ezechiel den möglichen Bruch des Vasallenvertrages durch Zidkija (Ez. 17). Doch die Nationalisten behielten die Oberhand, und der hin- und herlavierende Zidkija ließ sich aufgrund eines ägyptischen Bündnisversprechens hinreißen, die Vasallität gegenüber den Neubabyloniern aufzukündigen. Dies provozierte — wie Jeremia und Ezechiel angekündigt hatten — Nebukadnezar zum Vernichtungsschlag: Etwa drei Jahre hielt die Stadt der Belagerung stand, aber auch ein ägyptischer Entlastungsangriff brachte keine Wende. Im August 587 (oder 586) wurde Jerusalem eingenommen und einen Monat später einschließlich des Tempels völlig verwüstet (2. Kön. 25, 1—21). Zidkija wurde geblendet und nach Babylonien verschleppt, die Anführer der nationalistischen Partei hingerichtet und ein weiterer Teil der Bevölkerung deportiert. Ein letzter Versuch, unter dem Statthalter Gedalja das deuteronomische Reformwerk fortzuführen und ein Gemeinwesen ohne Königtum aufzubauen, scheiterte nach zwei Monaten; Gedalja wurde von nationalistischen Freischärlern ermordet (2. Kön. 25, 22—26; Jer. 40ff.). Damit hatte auch Juda aufgehört zu bestehen.
 
Es gehört zu den Wundern in der Menschheitsgeschichte, dass Israel den Untergang seiner beiden Staaten überlebte. Die politische Katastrophe führte nicht zur Aufgabe seiner selbst und seines Gottes. Vielmehr setzte sie in der Exilzeit eine tiefe religiöse Reflexion in Gang, in der Israel seinen Untergang als Beweis der alleinigen Macht seines Gottes als des einzigen Herrn der Geschichte verstehen lernte, die alle Götter als machtlose Götzen entlarvt und alle noch so große politische Macht relativiert (Monotheismus: Jes. 41, 21—29; 43, 8—13; 44, 24 bis 45, 7; 47). Aus der Katastrophe des Exils wurde das Judentum geboren: Nach dem Fall des Neubabylonischen Reiches 539 wagten mit Unterstützung des Perserkönigs Kyros II., des Großen, beträchtliche Gruppen von Exilierten mit den im Lande Verbliebenen einen Neuanfang und begannen 520, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Gerade weil die Kleinstaaten Israel und Juda untergingen, machten sie Geschichte, die bis heute währt.
 
Prof. Dr. Rainer Albertz
 
 
Aharoni, Yohanan: Das Land der Bibel. Eine historische Geographie. Neukirchen-Vluyn 1984.
 Albertz, Rainer: Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. 2 Bände Göttingen 1992.
 Crüsemann, Frank: Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes. München 1992.
 Crüsemann, Frank: Der Widerstand gegen das Königtum. Die antiköniglichen Texte des Alten Testamentes und der Kampf um den frühen israelitischen Staat. Neukirchen-Vluyn 1978.
 Donner, Herbert: Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. 2 Bände Göttingen 21995.
 Finkelstein, Israel: The archaeology of the Israelite settlement. Jerusalem 1988.
 
Geschichte des jüdischen Volkes, herausgegeben von Haim H. Ben-Sasson. München 31995.
 Gunneweg, Antonius H. J.: Geschichte Israels. Von den Anfängen bis Bar Kochba und von Theodor Herzl bis zur Gegenwart. Stuttgart u. a. 61989.
 Herrmann, Siegfried: Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. München 21980.
 Neu, Rainer: Von der Anarchie zum Staat. Entwicklungsgeschichte Israels vom Nomadentum zur Monarchie im Spiegel der Ethnosoziologie. Neukirchen-Vluyn 1992.
 
The new encyclopedia of archaeological excavations in the Holy Land, herausgegeben von Ephraim Stern. 4 Bände Jerusalem 1993.
 Noth, Martin: Geschichte Israels. Göttingen 101986.
 Noth, Martin: Das System der zwölf Stämme Israels. Stuttgart 1930. Nachdruck Darmstadt 1980.
 Soggin, Jan Alberto: Einführung in die Geschichte Israels und Judas. Von den Ursprüngen bis zum Aufstand Bar Kochbas. Darmstadt 1991.
 Spieckermann, Hermann: Juda unter Assur in der Sargonidenzeit. Göttingen 1982.
 
Textbuch zur Geschichte Israels, in Verbindung mit Elmar Edel und Riekele Borge herausgegeben von Kurt Galling. Tübingen 31979.
 Timm, Stefan: Die Dynastie Omri. Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Israels im 9. Jahrhundert v. Chr. Göttingen 1982.
 Weippert, Helga: Palästina in vorhellenistischer Zeit. Mit einem Beitrag von Leo Mildenberg. München 1988.

Universal-Lexikon. 2012.

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